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Auf der IDM-Konferenz in L'Aquila (Italien) hat die XENON-Kollaboration heute bekanntgegeben, erstmals Neutrinos aus von der Sonne mittels Kernrückstoss-Signalen gemessen zu haben. Die nachgewiesenen Neutrinos werden im Sonneninneren bei Kernzerfällen des Isotops Bor-8 erzeugt. Wenn sie mit den Atomkernen des XENONnT Detektors zusammenstossen, entstehen niederenergetische Kernrückstösse.
UZH Professorin Laura Baudis ist mit ihrer Gruppe mit entscheidenden Beiträgen zum Detektor und zu der Analyse am XENONnT Experiment beteiligt.
Seit langem wurde vorhergesagt, dass Dunkle- Materie- Detektoren wie das XENONnT- Experiment auch Sonnenneutrinos beobachten können. Diese Neutrinos entstehen in Kernprozessen im Sonneninneren und strömen ungehindert bis zur Erde. Der Nachweismechanismus für diese extrem schwach wechselwirkenden Neutrinos aus dem Zerfall von Bor-8 und Dunkler Materie ist dabei der gleiche: die Teilchen reagieren gleichzeitig (kohärent) mit dem gesamten Xenon-Atomkern. Dieser erfährt dabei einen Kernrückstoss, welcher ein niederenergetisches Signal erzeugt. Da solche Reaktionen zudem sehr selten sind, werden zur Messung extrem empfindliche Detektoren benötigt. Diese müssen eine hohe Exposition (das ist das Produkt aus genutzter Detektormasse und Messzeit), eine geringe Energieschwelle sowie einen sehr niedrigen Untergrund an Störsignalen aufweisen.
XENONnT ist eines der weltgrössten und empfindlichsten Experimente zur direkten Suche nach dunkler Materie. Es befindet sich tief unter der Erde im INFN Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) in Italien. Das LNGS ist eines der grössten Untergrundlabore für Teilchen- und Astrophysik und bietet eine einzigartige Umgebung, in der die kosmische Strahlung durch das abschirmende Gestein erheblich reduziert wird. Der Betrieb immer empfindlicherer Experimente im Rahmen des XENON-Programms am LNGS war entscheidend für den Erfolg der nun vorgestellten Messung.
Der zentrale Detektor von XENONnT nutzt 5,9 Tonnen hochreines, flüssiges Xenon als Detektionsmedium. Teilchenwechselwirkungen im Xenon erzeugen Lichtsignale, die mit den hochempfindlichen Sensoren nachgewiesen werden. Um solch extrem seltenen Ereignisse wie den jetzt vorgestellten Neutrinonachweis messen zu können, besteht das XENONnT-Experiment aus mehreren modernsten Teilsystemen. Dazu gehören etwa kryogene Anlagen, um das flüssige Xenon auf der erforderlichen Temperatur von -100°C zu halten, sowie innovative Kontroll- und Datenerfassungssysteme. Weitere Systeme verringern die verbleibenden Störsignale auf ein bislang unerreichtes Niveau: zwei kryogene Destillationsanlagen entfernen kleinste Spuren von im Xenon vorkommenden radioaktiven Elementen, und ein mit 700 Tonnen Wasser gefüllter Tank umgibt den Detektor, um über den Cherenkov-Effekt den von Neutronen- und Myonen-induzierten Untergrund weiter zu reduzieren.
Hochenergetische Neutrinos von der Sonne wechselwirken mit den Xenon-Atomkernen in XENONnT durch kohärente elastische Neutrino-Kern-Streuung (CEνNS). Dieser erstmals 1974 vorhergesagte Prozess blieb aufgrund den sehr niedrigen Kernrückstossenergien und der geringen Wechselwirkungsrate der Neutrinos lange unbeobachtet. Erst 2017 gelang es dem COHERENT Experiment, CEνNS mit höherenergetischen Neutrinos aus einer künstlichen Neutrinoquelle zu beobachten. Nun ist XENONnT das erste Experiment, das CEvNS von Neutrinos aus dem Sonneninneren nachgewiesen hat. Damit reiht sich XENONnT ein in die Liste berühmter Sonnenneutrino-Experimente wie etwa SNO, Borexino, oder SuperKamiokande, die aber typischerweise 10-500-mal grössere Detektoren erfordern.
Für die Analyse wurden Daten von XENONnT verwendet, die über einen Zeitraum von zwei Jahren, vom 7. Juli 2021 bis zum 8. August 2023, gesammelt wurden. Die Gesamtexposition beträgt dabei etwa 3,5 Tonnen-mal-Jahre. Dabei wurde ein Überschuss an niederenergetischen Kern Rückstossereignissen gegenüber dem erwarteten Untergrund gemessen, der mit dem vorhergesagten Signal von solaren Bor-8-Neutrinos vereinbar ist. Die statistische Signifikanz beträgt 2,7 Sigma. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Ergebnis um eine zufällige Untergrund Fluktuation handelt, nur 0,35% beträgt. Das Ergebnis wurde in einer blinden Analyse erzielt: Um mögliche menschliche Einflussnahme zu vermeiden, blieb der eigentliche Signalbereich den Forschenden verborgen, bis alle Analyseschritte festgelegt waren.
Diese erste Messung der kohärenten elastischen Neutrino-Kern-Streuung mittels einer astrophysikalischen Neutrinoquelle bestätigt gleichzeitig das hervorragende Verständnis von Signalen kleinster Energie im XENONnT Detektor. Darüber hinaus eröffnet das Ergebnis ein neues Kapitel für die direkte Suche nach Dunkler Materie: XENONnT hat jetzt begonnen, den sogenannten “Neutrino-Nebel” zu erforschen, in dem die extremst seltenen Neutrino-Wechselwirkungen erheblich zum Untergrund der für die Dunkle Materie-Suche beitragen. Da XENONnT weiterhin Daten sammelt, freut sich die Kollaboration auf weitere Entdeckungen.
Aus dem deutschsprachigen Raum sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Universitäten Freiburg, Mainz und Münster, das Karlsruhe Institut für Technologie und die Universität Zürich an XENONnT beteiligt. Alle Gruppen haben wichtige Beiträge zu verschiedenen Detektorsystemen geleistet und waren aktiv an der Datenanalyse beteiligt.
Kontaktinformationen: XENONnT-Kollaboration Website, E-Mail: xe-pr@lngs.in
Lokaler Beitrag: Die Gruppe um Prof. Laura Baudis an der Universität Zürich trug wesentlich an der Entwicklung und Bau der Zeit-Projektionskammer, an der Installation, Ausleseelektronik und Eichung der 494 Photodetektoren, sowie an Messungen von Spuren von Radioaktivität in den Detektormaterialien bei. Die Gruppe ist auch führend an der Datenanalyse und an Monte Carlo Simulationen der erwarteten Detektorasignale und des Untergrundes beteiligt.
Förderung:
In der Schweiz erhielt das XENONnT-Experiment finanzielle Unterstützung durch das SNF und durch die Universität Zürich. Internationale Förderung kam aus Deutschland, den USA, Italien, Israel, Portugal, Frankreich, Schweden, den Niederlanden und von der EU.