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Die Uni Zürich ist jetzt dank Neuzugang Björn Penning Mitglied bei einem abenteuerlichen Dunkle-Materie-Experiment.
Tief unter den Black Hills in den USA suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem hochempfindlichen Detektor nach Dunkler Materie. Mit dabei ist seit Anfang des Jahres auch die Universität Zürich durch den Neuzugang Björn Penning. Damit ist Zürich an beiden führenden Dunkle-Materie-Experimenten beteiligt, und die Zukunft ist auch schon in Planung...
Unter diesen Hügeln laufen mehrere Teilchenphysik-Experimente, die den Geheimnissen der dunklen Materie und der Neutrinos auf die Spur kommen sollen:
Mitten in den Vereinigten Staaten erhebt sich ein einsamer Gebirgszug namens „Black Hills“ aus den weiten Ebenen des Mittleren Westens. Mitten in diesen Black Hills wiederum – die so heissen, weil sie wegen der immergrünen Tannen aus der Entfernung schwarz aussehen – liegt auf 1600 Meter Höhe die Stadt Lead. „Miles beyond ordinary“ („Meilenweit über das Gewöhnliche hinaus“) ist der Slogan der kleinen Stadt in South Dakota, und tatsächlich ist hier oben für europäische Verhältnisse wenig Gewöhnliches. Hier stehen Blockhäuser aus dicken Baumstämmen, kaum ein Gebäude ist höher als zwei Stockwerke, es gibt mit Kettensägen geschnitzte Holzkunstwerke in der Einkaufsstrasse und der Moonshine Gulch Saloon sieht wie aus dem Cowboy-Bilderbuch. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Freizeitpark...allerdings ist alles echt. Denn in Lead und seiner Nachbarstadt Deadwood ist das völlig gewöhnlich – fast wie eine Zeitreise in den „Wilden Westen“.
Die Gegend um Lead, South Dakota, hat sich viel vom alten Western-Charme bewahrt. Das ist der Spearfish Canyon, einer der Drehorte von Der mit dem Wolf tanzt.
Keine Show für Touristen sondern einfach eine ganz normale Bar in der Gegend.
Zur Zeit des Goldrausches lebten fast 10 000 Menschen in Lead und suchten ihr Glück in den Goldminen, die sich tief in das Gestein der Black Hills hineinbohren. Heute zählt Lead nur noch knapp 3000 fast ausschliesslich weisse Einwohner:innen und die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Eigentlich gelten die Black Hills den amerikanischen Ureinwohnern als heilig und ihnen wurde per Vertrag im Jahr 1868 zugesichert, dass sich dort keine weissen Siedler niederlassen dürfen. Allerdings werden Gesetze neu geschrieben, sobald Gold ins Spiel kommt. Nachdem es nämlich 1874 bei einer Expedition in den Black Hills entdeckt wurde, hatte die US-Regierung kurzerhand das Gebiet in Besitz genommen, die ansässigen Lakota-Indianer in Reservate umgesiedelt und die Gründung der Homestake Mine genehmigt. Sie gilt als die grösste und tiefste Goldmine Nordamerikas; ihre Stollen reichen bis zu einer Tiefe von rund 2400 Metern. Bis 2001 wurde dort Gold geschürft.
Sonnenaufgang über den Fördertürmen der Homestake Mine, in der das LZ-Experiment nach dunkler Materie sucht. Bild: Sanford Underground Research Facility / © South Dakota Science and Technology Authority
Der Zugangsschacht zum “Korb”, dem Fahrstuhl, der Menschen in zwölf Minuten zwei Kilometer tief unter die Erde bringt.
Ein voller Korb
Zwischen den beiden Hauptschächten gibt es Verbindungstollen wie diese, in denen man das alte Lorensystem nutzt.
Sieht noch stellenweise aus wie eine Goldmine, ist inzwischen ein Forschungslabor: die Sanford Underground Research Facility
Die Goldgräberstimmung ist lange vorbei, aber gesucht wird in den Minen noch immer – allerdings nicht nach Gold, sondern nach seltenen Teilchen. Warum man ausgerechnet an einem so abgelegenen und schwer zugänglichen Ort Teilchenphysik-Experimente machen möchte, erklärt UZH-Neuzugang Björn Penning. Der Teilchenphysiker hat Anfang des Jahres seine Professur an der Universität Zürich angetreten und nicht nur sein Experiment zum Portfolio der Universität hinzugefügt, sondern ein ganzes Team aus Ann Arbor in Michigan mitgebracht. Gemeinsam mit Kolleg:innen aus der ganzen Welt sucht das Team nach Hinweisen für Dunkle Materie, und zwar genau in den tiefen Stollen der Homestake-Mine. Die vielen Tonnen Gestein drumherum schaffen nämlich eine seltene Rahmenbedingung: eine exzellente Abschirmung gegen den konstanten Regen kosmischer Teilchen, die sonst Messungen von seltenen physikalischen Ereignissen stören können. „Unser Detektor ist einer der am wenigsten radioaktiven Orte der Welt“, sagt Penning. „Alles an ihm ist ultra-clean.“ Und gemeint sind nicht nur die Tonnen von Gestein, die die kosmischen Teilchen abhalten, sondern auch mögliche Verunreinigungen durch benutzte Materialien, Staub, Rauschen.
UZH-Neuzugang Björn Penning hat alles mitgebracht: Experiment, Team und Familie
Jede Person, die sich in den Schächten und Tunneln aufhält, muss erfasst werden... die Marken für die Wissenschaftler
In der Sanford Underground Research Facility wird auch das DUNE-Experiment Neutrinos untersuchen. Das Bild zeigt Ausgrabungen, die dafür getätigt werden.
All das macht den Lux-Zeplin oder LZ-Detektor zum empfindlichsten Detektor der Welt für Dunkle-Materie-Teilchen namens WIMPs. WIMP steht für „weakly interacting massive particle“ oder schwach interagierende massereiche Teilchen, und Forschende vermuten, dass das Universum voller WIMPs sein könnte; weil sie aber so wenig wechselwirken, können wir sie mit herkömmlichen Methoden nicht sehen oder untersuchen. Ihr Nachweis wäre eine ziemliche Sensation, weil er die Existenz von Dunkler Materie beweisen würde – eine Substanz, von der man annimmt, dass sie mehr als fünf mal häufiger ist als bekannte Materie, die man bisher aber vergeblich gesucht hat. LZ ist mit seinem WIMP-sensitiven System spezialisiert für einen der möglichen Kandidaten von Dunkler Materie.
Das Herzstück des Detektors ist eine Kammer, die mit sieben Tonnen flüssigem Xenon gefüllt ist. Wenn ein WIMP auf ein Xenon-Atom trifft und mit ihm interagiert, erzeugen die Teilchenkollisionen im Xenon detektierbare Lichtblitze, mit denen die Forschenden feststellen können, was für ein Teilchen im Xenon wechselgewirkt hat. Der zentrale Dektor ist etwa 1,50 Meter hoch und etwas weniger breit. Drumherum liegen verschiedene Abschirmungen, zwei Kryostaten, die das Xenon kühl halten und Hitzetransfer vermeiden, und ein äusserer Detektor. All dies wiederum sitzt in einem enormen Wassertank – wie eine übergrosse, hochempfindliche Matrjoschka-Puppe (Video)
Der äussere Detektor des LZ-Experiments und der zentrale Kryostat
Penning selbst ist verantwortlich für den äusseren Flüssigszintillator-Detektor, auch „Veto“-Detektor genannt, denn genau das ist seine Aufgabe: bestimmte Ereignisse auszuschliessen, also sozusagen ein Veto einzulegen. „Wir sagen dem inneren Detektor, welche Ereignisse er sich gar nicht erst anzusehen braucht“, erklärt Penning. Die von Lichtsensoren umgebene Detektorkammer ist mit einer Szintillatorflüssigkeit gefüllt, die stark wechselwirkt. Die Wände sind weiss, damit die Lichtteilchen, Photonen, so lange reflektiert werden, bis sie auf einen Sensor treffen. „Das Problem ist, dass manchmal ein Neutron im inneren Detektor wechselwirkt, das in seinem Lichtsignal einem WIMP ziemlich ähnlich sieht. Wenn unser Detektor es als ein Neutron erkannt hat, legt er ein Veto ein.“ So wird niemand unnötig nervös, weil man glaubt, Dunkle Materie entdeckt zu haben...
Penning bei der Arbeit am Detektor. Alles muss sehr rein gehalten werden, um keine radioaktiven Kontaminationen zu erzeugen, die die Signale stören würde.
Das Veto-Team von Björn Penning in ihrem Detektor
Der Veto-Detektor ist so sensitiv, dass er einzelne Photonen erkennen kann. Der Detektor, der seit 2020 in Betrieb ist, liest ständig aus. „Wir haben es mit einer wahnsinnig hohen Datenmenge zu tun“, sagt Penning. „Wir sehen Milliarden von Ereignissen pro Jahr und müssen daraus diejenigen herausfiltern, die interessant sein könnten. Das sind ein bis zwei Ereignisse pro Jahr.“
Das LZ-Experiment wurde 2019 in die Homestake-Mine installiert. Als wäre das nicht schon Abenteuer genug – eine fast zehnminütige Fahrt in absoluter Dunkelheit im 100 Jahre alten Korb und der vorsichtige Transport von High-Tech-Equipment per Goldgräberbahn in die von der Experimentalphysik gekaperten unterirdischen Kavernen – , kam kurze Zeit später die Pandemie, was die Inbetriebnahme ziemlich schwierig machte. Trotzdem konnten die Forscherinnen und Forscher von LZ im Juli 2022 ihre ersten Ergebnisse veröffentlichen und sind seitdem offiziell das empfindlichste Dunkle-Materie-Experiment der Welt.
Ein Eventdisplay von LZ. Die Fotosensoren des inneren Detektors sind gelb und die des äusseren Detektors blau dargestellt. Der Kryostat und die äusseren Detektoren sind hellgrün dargestellt. Der untere Teil zeigt die in den verschiedenen Subdetektoren gemessenen Lichtimpulse.
Penning selbst ist eigentlich Higgs-Spezialist mit Forschungserfahrung am Tevatron in den USA und am Large Hadron Collider in Genf. Dort hat er erste Dunkle-Materie-Studien an Collidern gemacht, als er Research Fellow am Imperial College in London wurde. Mit einer permanenten Stelle an der Universität Bristol kam er dann zum ersten Mal mit Direct-Detection-Experimenten für Dunkle Materie in Kontakt. Mit einem Umzug an die Brandeis-Universität in den Vereinigten Staaten kam auch der komplette Wechsel zum LZ-Experiment; in Brandeis wurden grosse Detektorkomponenten gebaut, für die Penning mit einem Team aus Studierenden und Postdocs verantwortlich war. Es folgte ein Ruf an die Universität Michigan – eine Doppelberufung für ihn und seine Frau, eine Astrophysikerin – bei der das ganze Team mitging. Nach Zürich brachte ihn ebenfalls eine Doppelberufung, ebenfalls mit dem ganzen Team plus dem gemeinsamen Sohn, was auch die in Deutschland lebenden Grosseltern sehr freut. Denn wenn man im ebenfalls nach aus der Ferne schwarz wirkenden Tannen benannten Schwarzwald aufwächst, grenzt es an Vorbestimmung, an einem Experiment in den Black Hills mitzuarbeiten, das nach Dunkler Materie sucht...
Mit seiner Beteiligung an LZ und dem im italienischen Gran-Sasso-Labor angesiedelten XENONnT-Experiment ist die Universität Zürich übrigens die einzige weltweit, die an den beiden führenden Direct-Detection-Experimenten beteiligt ist – und damit auf jeden Fall dabei, wenn eins davon Dunkle Materie nachweist! „Wir brauchen einander, um die Ergebnisse zu bestätigen. Die Dunkle-Materie-Community ist kooperativ“, meint Penning. Die verschiedenen Kollaborationen auf der ganzen Welt arbeiten an einem Konzept für ein zukünftiges gemeinsames Projekt, das „XENON DARWIN LUX-ZEPLIN“ Experiment – das dann mit einem Masse von mehreren dutzend Tonnen an flüssigem Xenon nicht nur noch empfindlicher auf WIMPs würde, sondern auch andere Forschungsbereiche wie andere Dunkle-Materie-Kandidaten, Neutrinos, Supernovae und mehr abarbeiten könnte. Wie die kleine Stadt Lead in South Dakota verspricht auch dieses Experiment alles ausser gewöhnlich zu werden…
Rendering des geplanten XLZD-Experiments, eines zukünftigen Experiments, das von Laura Baudis und Björn Penning mit internationalen Partnern geplant ist, um die Suche nach dunkler Materie zu erweitern.
Autorin: Barbara Warmbein
© images: Björn Penning, Adam Gomez / Sanford Underground Research Facility, Matthew Kapust / Sanford Underground Research Facility