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Nobelpreis in Physik 1987
Geboren am 20.04.1927 in Basel, Schweiz, verstorben am 09.01.2023 in Zollikerberg, Schweiz
K. Alex Müller’s wissenschaftliche Karriere begann mit dem Physikstudium an der ETH Zürich. Hier war er tief beeindruckt und inspiriert von den Vorlesungen von Prof. Wolfgang Pauli. Seine Diplomarbeit unter der Betreuung von Prof. G. Busch fertigte er über den Halleffekt im grauen Zinn an. Prof. G. Busch war auch sein Doktorvater. In dieser Arbeit war die paramagnetische Resonanz in dem neu synthetisierten Doppelperowskit SrTiO3 das zentrale Thema.
Seine berufliche Laufbahn startete er als Leiter der Magnetresonanz Gruppe am Batelle Institut in Genf. Auf Empfehlung von Prof. E. Brun habilitierte er sich 1962 am Physik-Institut der Universität Zürich. Aufgrund seines hohen wissenschaftlichen Ansehens, wurde ihm 1963 eine Forschungsstelle am IBM Forschungslabor in Rüschlikon (Zürich) angeboten, die 1972 in die des Leiters des Physikdepartments umgewandelt wurde. Diese Leitfunktion hatte er bis 1985 inne. In diesen 15 Jahren lagen seine Forschungsschwerpunkte auf dem Gebiet der Perowskite, insbesondere dem des SrTiO3, mit Fokus auf deren chemische Bindungsverhältnisse, ihre Phasenübergänge, dem Soft-Mode Verhalten. Später kamen kritische und multikritische Phänomene hinzu, die im Zusammenhang mit den Phasenübergängen beobachtet wurden. 1970 wurde er von der Universität Zürich zum Titularprofessor ernannt.
Eine zukunftsträchtige Ehrung wurde ihm 1982 zuteil, als er zum IBM Fellow ernannt wurde. Diese herausragende Stellung ermöglichte K. Alex Müller, seine weiteren Forschungsaktivitäten unabhängig und weisungsungebunden zu betreiben, der erste wesentliche Riesenschritt Richtung Nobelpreis.
Die zukünftigen Nobelpreisträger, K. Alex Müller und J. Georg Bednorz, begegneten sich erstmals im Jahr 1972, als J. Georg Bednorz als Sommerstudent am IBM Forschungslabor in Rüschlikon arbeitete. Ein Jahr später begann er seine Diplomarbeit unter Anleitung von K. Alex Müller eben hier, wobei er sich mit der Charakterisierung und dem Kristallwachstum der Perowskite befasste. Seine Doktorarbeit war eine Weiterführung dieses Projektes, die zusätzlich zu K. Alex Müller auch von Prof. H. Gränicher betreut wurde.
Während eines 18 monatigen Forschungsaufenthalts bei der IBM Yorktown Heights (USA), beginnend 1979, befasste sich K. Alex Müller erstmalig mit der Supraleitung und supraleitenden Verbindungen. Es gelang ihm, auf dem Gebiet so profunde Kenntnisse zu erlangen, dass er nach seiner Rückehrung nach Zürich sogar Vorlesungen zu diesem Thema anbot und abhielt. Er war speziell an supraleitenden Oxiden interessiert, die unerwartet hohe Sprungtemperaturen aufwiesen. Unter „unerwartet hoch“ ist zu verstehen, dass die Zahl der Ladungsträger in den Oxiden deutlich kleiner ist als in allen damals bekannten Supraleitern. Diese Beobachtung bedeutete für K. Alex Müller, dass die Elektronpaarbildung in Oxiden nicht mit der Bardeen-Cooper-Schrieffer (BCS) Theorie vereinbar ist. Theoretische Konzepte, die von Prof. H. Thomas und seinem Team in dieser Zeit an der Universität Basel entwickelt wurden, suggerierten ein neues Bild, beruhend auf dem Jahn-Teller Theorem und dem Jahn-Teller Polaron, das sich aufgrund einer besonders starken Elektron-Gitter Wechselwirkung bildet. Konsequenterweise konzentrierte sich K. Alex Müller in der Folge auf Oxide mit Jahn-Teller Zentren. Zusammen mit J. Georg Bednorz initiierte er 1983 ein neues Projekt zu diesem Thema. Drei Jahre später und nach zahlreichen Fehlschlägen, waren sie 1986 erfolgreich, als sie die Entdeckung der Hochtemperatursupraleitung in den Kupraten nachweisen konnten. Nur ein Jahr später wurden sie 1987 für diese Entdeckung mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Im selben Jahr, jedoch vor der Verleihung des Nobelpreises, wurde K. Alex Müller zum ordentlichen Professor der Universität Zürich ernannt.
In den nachfolgenden Jahren erhielten beide Wissenschaftler unzählige Preise, Ehrungen, Würdigungen und Doktor honoris causa Titel, die sie jedoch nicht davon abhielten, weiterhin wissenschaftlich aktiv zu bleiben. Sie behielten auch ihre Bodenständigkeit und Bescheidenheit bei.
K. Alex Müller’s weitere Interessen lagen insbesondere darauf, den Paarbildungsmechanismus der Kuprate zu erforschen. Da der Ausgangspunkt seiner Entdeckung der Kuprate auf Jahn-Teller-Effekten und polaronischen bzw. bipolaronischen Mechanismen beruhte, gründete er ein neues Forschungsprojekt an der Universität Zürich, das sich auf Isotopeneffekte in Kupraten konzentrierte. Beides, der Jahn-Teller Effekt und die Polaron-, Bipolaron Bildung basieren - wie oben schon erwähnt - auf einer ungewöhnlich starken Elektron-Gitter Wechselwirkung, die typischerweise anhand von Isotopeneffekten nachweisbar ist. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Zürich, des PSI und vielen internationalen Teams gelang es ihm, neue unkonventionelle Isotopeneffekte in den Kupraten nachzuweisen und damit zu beweisen, dass sein ursprüngliches Konzept richtig war. Zusätzlich bewies er in zahlreichen Arbeiten, dass die Kuprate inhomogen und mehr-komponentig sind, was lokale Gittereffekte von globalen unterscheidbar macht. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass schon kurz nach der Entdeckung der Hochtemperatursupraleitung ein Glaubenskrieg entbrannte, der aus Befürwortern und Gegnern der Elektron-Gitter Wechselwirkung bestand und immer noch besteht. Während die Ersteren viele weitere Hinweise auf das ursprüngliche Konzept der Polaron-. Bipolaronbildung entdeckten, formierte sich eine grosse Gruppe von Forschern, die einen rein elektronischen Mechanismus der Paarbildung favorisierten, der die oben aufgeführten Ergebnisse schlichtweg ignorierte. K. Alex Müller hat diesen Konflikt zu seinen Gunsten gelöst, obwohl das rein elektronische Bild nach wie vor seine eigenen Anhänger hat.
Die intrinsische Inhomogenität der Kuprate bildete einen weiteren Forschungsschwerpunkt von K. Alex Müller, da diese eine Folge des keramischen Charakters und ihren Dotierungen ist. Implizit folgt daraus, dass die Translationsinvarianz nicht mehr gegeben ist, was viele theoretische Ansätze ad absurdum führt. Zeitgleich bedeutet es aber auch, dass die Paarbildungswellenfunktion mehrkomponentig ist, also, dass mindestens zwei Ordnungsparameter relevant sind. Er war der erste, der postulierte, dass s+d Ordnungsparameter die Physik der Kuprate konsistent beschreiben, was durch zahlreiche Experimente bestätigt wurde.
Neben seinem Interesse an den Kupraten, wachte auch wieder seine Leidenschaft für die Perowskite und SrTiO3 auf. Ähnlich den Kupraten sind auch diese Verbindungen inhomogen, so dass langreichweitige Eigenschaften sehr verschieden von kurzreichweitigen sein können. Das bedeutet, dass Zeit- und Längenskalen eines jeweiligen Experiments beachtet werden müssen, und scheinbar kontroverse Resultate in Wirklichkeit komplementär sind. Hierbei war vor allem BaTiO3 interessant für ihn, da z.B. Neutronenstreuexperimente dieses Material als displaziv kategorisierten, während lokale Eigenschaften testende Experimente wie NMR einen Ordnungs-, Unordnungsmechanismus favorisierten. K. Alex Müller gelang es, diese anscheinende Kontroverse zu lösen, indem er die Koexistenz beider nachwies.
Neben seiner hervorragenden Forschungsarbeit war er auch ein inspirierender und engagierter Lehrer mit intensivem Interesse an den Studierenden und ihrem Leben. Er unterstützte sie nicht nur wissenschaftlich sondern auch finanziell durch die K. Alex Müller Stiftung. Die Seminare am Physik-Institut der Universität Zürich besuchte er regelmässig und war „berüchtigt“ aufgrund seiner profunden und subtilen Kommentare. Bis ins hohe Alter bewahrte er seine Kontakte dorthin und nahm am wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Leben dort teil.
Mit K. Alex Müller’s Tod verlieren wir nicht nur einen herausragenden Forscher, Wissenschaftler und Lehrer, sondern auch einen sehr guten Freund und Kollegen.
Katharina Mueller